Erbprinz Alois

vor der 78. Gemeralversammlung der Handelskammer Schweiz-Österreich am

16. Mai 2001

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich möchte der Handelskammer Schweiz - Österreich herzlich danken, dass sie dieses Jahr anlässlich der 78. Generalversammlung nicht nur der Handelsbeziehung zwischen der Schweiz und Österreich gedenkt, sondern sich auch einmal das Fürstentum Liechtenstein zum Thema genommen hat. Das Fürstentum Liechtenstein ist in diese Beziehung mit eingebettet, sowohl geographisch als auch wirtschaftlich. Die Handelskammer Schweiz ­ Österreich hat nicht nur liechtensteinische Mitglieder, auch ein Teil des Handels dürfte über liechtensteinische Straßen gehen ­ nicht immer zur Freude unserer Bevölkerung ­ bzw. durch liechtensteinische Frächter transportiert werden ­ in diesem Fall zur Freude unserer Wirtschaft und des Fiskus.

Liechtenstein ist ein Binnenland zwischen der Schweiz und Österreich, welches mit seinen Nachbarn aufs engste verflochten ist. Mit der Schweiz haben wir einen Zoll- und Währungsvertrag. Auch mit Österreich sind wir aufs engste verbunden, durch den EWR sowie durch bilaterale Verträge bezüglich verschiedenster Bereiche von der Ausbildung bis zur Katastrophenhilfe. Aber auch im Tagtäglichen sind wir stets auf die gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn angewiesen. Liechtenstein würde in seiner heutigen Form gar nicht existieren können ohne die Hilfe vieler Schweizer und Österreicher ­ sei es in der Wirtschaft, aber auch in der Verwaltung sowie in den Gerichten.

Es ist deshalb für das Fürstentum Liechtenstein von besonderem Interesse, dass nicht nur seine Beziehungen zu den beiden Nachbarn auf höchstem Niveau sind, sondern auch, dass die Beziehungen zwischen der Schweiz und Österreich bestens funktionieren. Die Handelskammer Schweiz ­ Österreich leistet dazu einen wichtigen Beitrag, worüber wir in Liechtenstein sehr dankbar sind.

Man könnte nun denken, dass das Fürstentum Liechtenstein in einer idealen Welt lebe. Es führe ein sorgenfreies Leben mit hohem Wohlstand und einer florierenden Wirtschaft, eingebettet zwischen zwei freundlichen Nachbarn, denen es auch gut geht. Die Liechtensteinische Bevölkerung müsste glücklich sein, vor allem, wenn man sich die Situation vor 60 Jahren vor Augen führt: ein armes Land bedroht vom Dritten Reich. Dem ist aber nicht so, denn viele haben Sorge vor der Zukunft, da Liechtenstein vor großen Herausforderungen steht.

Da sind zunächst einmal die außenpolitischen Herausforderungen:

Liechtenstein wurde der Vorwurf gemacht, dass es zu wenig gegen Geldwäsche und organisierte Kriminalität tut. Es folgte die Aufnahme auf die Schwarze Liste der Financial Action Task Force verbunden mit der Drohung von Sanktionen,

Weiters wurde vorgeworfen, Liechtenstein betreibe einen schädlichen Steuerwettbewerb und solle daher seine Gesetze bezüglich Privatsphäre und Steuern auf das unattraktive Niveau der Europäischen Großstaaten anpassen,

und schließlich ist die weitere Entwicklung der Europäischen Integration sowie der Weg den die Schweiz dabei gehen wird eine ständige Herausforderung für Liechtenstein.

Ende 1999 war die Aufregung groß, als im Spiegel sowie in anderen deutschen Medien Teile eines Länderberichtes des deutschen Bundesnachrichtendienstes veröffentlicht wurden, der Liechtenstein als "Verbrecherstaat" darstellte. Liechtenstein ersuchte Österreich um die Bereitstellung eines Sonderanwaltes, der diesen Beschuldigungen nachgehen sollte. Die Untersuchungen des Sonderstaatsanwaltes in dieser Angelegenheit haben ergeben, dass sich der Länderbericht in den Kernaussagen auf Angaben eines Informanten des Bundesnachrichtendienstes stützt, der wegen Erpressung und Betrug zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Dass solche falsche Beschuldigungen ungeprüft übernommen werden, um auf einen Staat politischen Druck auszuüben, ist bedenklich.

Trotzdem blieb der Vorwurf der OECD-Staaten an das Fürstentum Liechtenstein, die Justiz würde beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die Geldwäsche zu wenig unternehmen und die Rechtshilfe funktioniere nur mangelhaft. Leider müssen wir zugeben, dass ein Teil der Vorwürfe berechtigt war. Es gab seit Jahrzehnten Missstände im Justizbereich. Diese waren zu einem kleineren Teil auf mangelhafte Vorschriften zurückzuführen, zu einem größeren Teil jedoch auf personelle Probleme, sowohl was die Quantität als auch die Qualität betrifft.

Regierung und Landtag haben letztes Jahr diesbezüglich die notwendigen Beschlüsse gefasst. Auch die neue Regierung und der neue Landtag werden auf diesem Weg der Reformen voranschreiten, denn wir haben zu unserem eigenen Vorteil das größte Interesse an einem sauberen Finanzplatz. Dass entscheidende Fortschritte erzielt wurden, hat inzwischen auch die OECD anerkannt, so mancher OECD-Staat hat gegenüber Liechtenstein nun einiges nachzuholen.

Es bleibt aber einerseits ein angeschlagenes Image, dass über die nächsten Jahre korrigiert werden muss, und andrerseits der ständige Druck alles zu unternehmen, damit nicht wieder der Vorwurf erhoben werden kann, zu wenig gegen die Geldwäsche getan zu haben. Dies sollte durch Verbesserungen auf staatlicher Ebene wie dem Erlass neuer Gesetze und Verordnungen, der personellen Aufstockung der Gerichte und Staatsanwaltschaft sowie der Schaffung einer Financial Intelligence Unit und einer Wirtschaftspolizei gewährleistet sein. Auch Banken und Treuhänder wurden aktiv und haben ein "Institute for Compliance and Quality Management" gegründet, welches seine Mitglieder bei der Umsetzung der neuen Vorschriften berät, das Bewusstsein um die Gefahren der Geldwäsche durch Ausbildung erhöht sowie Best Practices durch ein internationales Benchmarking fördert.

Liechtenstein wird in den kommenden Jahren ­ sowie andere Staaten ­ mit Fragen der Geldwäsche und organisierten Kriminalität konfrontiert sein. Allerdings hat Liechtenstein im Unterschied zu vielen anderen Staaten in den letzten Monatenentscheidende Schritte gesetzt, um diese Herausforderung bewältigen zu können.

Anders ist die Situation bezüglich der Initiativen zur Beseitigung des schädlichen Steuerwettbewerbes. Hier ist Liechtenstein grundsätzlich anderer Meinung als einige der führenden OECD-Staaten. Die amerikanische Administration setzt derzeit allerdings energisch auf Steuersenkungen und betont zur Frage des Steuerwettbewerbes: "The United States does not support efforts to dictate to any country what its own tax rates or tax system should be, and will not participate in any initiative to harmonize world tax systems."

Das Fürstentum Liechtenstein ist prinzipiell für den Steuerwettbewerb, da er die Staaten zwingt, ihre Steuersysteme effizient zu gestalten und auf unnötige Staatseinnahmen zu verzichten. Staaten dürfen nicht mehr Steuern einnehmen, als sie zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen.

Steuerharmonisierung führt hingegen zu einem für den Steuerzahler schädlichen Steuerkartell, und dies in einer Zeit, in der schädliche Kartelle im Wirtschaftsbereich unter Strafe gestellt werden. Es kommt hinzu, dass einige Staaten ­ vor allem auch OECD-Staaten ­ die Beweislast umkehren. Müssen Gerichte in einem Rechtsstaat dem Verbrecher seine Schuld nachweisen, muss in diesen Staaten der Steuerzahler dem Staat seine Unschuld nachweisen.

Der Informationsaustausch sollte auf wichtige Bereiche wie Kriminaldelikte beschränkt bleiben und kann nicht generell gelten. Ein weltweites Kontrollsystem in Steuerangelegenheiten würde eine neue Bürokratisierungswelle bedeuteten. Ein unbeschränkter Informationsaustausch bedeutet auch einen massiven Eingriff in die Privatsphäre des einzelnen Menschen, an dessen Ende der gläserne Mensch steht, der gegenüber dem Staat in allen seinen finanziellen Transaktionen Rechenschaft schuldet.

Das Steuersystem des Fürstentum Liechtenstein besticht durch eine Kontinuität, wie sie kaum ein anderer Staat kennt. Es wurde seit 1961 praktisch kaum geändert, der Bereich der Holding- und Sitzgesellschaften besteht sogar nahezu unverändert seit dem Jahre 1923. Im Unterschied zu vielen EU- und OECD-Staaten wurden in den letzten Jahren nicht ständig neue Steuervergünstigungen eingeführt, um ausländischen Kapital anzuziehen bzw. nicht zu verlieren. Diese stabile und damit berechenbare Steuerpolitik hat auch wesentlich dazu beigetragen, aus dem Fürstentum Liechtenstein den höchst industrialisierten Staat Europas zu machen.

Das Fürstentum Liechtenstein ist sich allerdings bewußt, daß es - wie bei jedem Wettbewerb ­ auch beim Steuerwettbewerb negative Auswüchse geben kann. Deshalb hält es Liechtenstein für sinnvoll, den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten ­ ähnlich wie den innerstaatlichen Wettbewerb ­ generell anerkannten Regeln zu unterwerfen. Diese Regeln müssen aber in einem multilateralen Rahmen erarbeitet werden, in den alle Staaten eingebunden sind und der sämtliche negativen Auswüchse des Steuerwettbewerbes berücksichtigt. Dabei sollte das Interesse des Steuerzahlers im Vordergrund stehen und nicht vergessen werden, daß alle Kartelle früher oder später gescheitert sind und den Betroffenen mehr Schaden zugefügt haben, als wenn man sich gleich dem Wettbewerb gestellt hätte.

Eine weitere große Herausforderung ist die Europäische Integration. Als Kleinstaat ohne einen nennenswerten Binnenmarkt war Liechtenstein schon immer an einer Integration und an offenen Grenzen zu seinen Nachbarn interessiert. Dies begann im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, über den Rheinbund und den Deutschen Bund, den Zollvertrag mit Österreich bzw. der Schweiz, bis zum Beitritt zu EWR und WTO.

Der EWR ist für Liechtenstein ein ideales Instrument. Er bietet den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt ist aber gleichzeitig größenverträglich für einen Kleinstaat von nur 33.000 Einwohner. Ein EU-Beitritt bei der jetzigen EU-Struktur wäre für Liechtenstein schwer vorstellbar. Allerdings wird Liechtenstein die weitere Entwicklung der Europäischen Integration aufmerksam verfolgen. Die Erweiterung der EU wird wohl etliche Änderungen erfordern. Welche dies sein werden und ob diese einen EU-Beitritt Liechtensteins einmal erleichtern würden, ist noch nicht absehbar.

Ein wichtiger Aspekt der Europäischen Integration für Liechtenstein ist immer auch die Position der Schweiz. Ein EU-Beitritt der Schweiz würde eine völlig neue Situation ergeben. Der Zollvertrag wäre dann nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dabei ist es dann sicher von Vorteil, daß wir über den EWR bereits wirtschaftlich in Europa integriert sind.

Auch die Änderung der Beziehung der Schweiz zur EU aufgrund der bilateralen Verträge wird aufmerksam beobachtet werden. So wird z.B. das sich abzeichnende Schengen-Abkommen mit der Schweiz auch für Liechtenstein relevant. Besonders erfreulich wäre, dann nach fast 100 Jahren wieder offene Grenzen zu Österreich zu haben.

Schließlich wird auch immer die Frage bleiben, in welche Richtung sich der EWR bewegen wird. Das Interesse der EU am EWR hat nachgelassen, da die zum Teil gemachten Überlegungen, der EWR könnte als Vorhof für die Kandidaten der EU-Erweiterung dienen, nicht mehr aktuell sind. Momentan ist die Situation so, daß sowohl die EU als auch die EFTA-Staaten des EWRs im allgemeinen ganz gut mitdem EWR leben können und dieser daher auch in absehbarer Zeit seine Funktion erfüllen wird. Was die weitere Zukunft betrifft, hängt viel von den Wegen Norwegens und Islands ab. Würde Norwegen und Island der EU beitreten, wären die heutigen EWR-Strukturen wohl nicht mehr praktikabel. Die Situation wäre dann ähnlich wie bei einem EU-Beitritt der Schweiz.

Innenpolitisch sind es vor allem zwei Themen, die Liechtenstein in den kommenden Monaten beschäftigen werden:

Zum einen ist es der schon seit längeren schwelende Verfassungskonflikt, bei dem es vor allem um die Frage geht, welche Befugnisse dem Fürsten im Rahmen der Verfassung zukommen sollen.

Zum anderen sind es die Probleme, die das seit Jahrzehnten andauernde erfolgreiche Wirtschaftswachstum mit sich gebracht hat.

Blickt man zurück, so kann man die Verfassungsdiskussion in zwei Entwicklungsperioden einteilen: in die nicht-öffentliche und in die öffentliche. Die Tatsache, dass da ein politisch aktiver Monarch sich in die öffentlichen Fragen einmischt, hat einige schon immer gestört seit mein Großvater 1938 den Sitz des regierenden Fürsten nach Vaduz verlegt hat. Dies wurde zwar nicht öffentlich geäußert, war aber doch immer wieder spürbar.

1992 im Vorfeld der EWR-Abstimmung ist die Verfassungsfrage öffentlich geworden. Sowohl 90% der Landtagsabgeordneten hatten sich dafür ausgesprochen, die Verfassung zu ändern, als auch 55% der Bevölkerung sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage für eine Verfassungsänderung aus. Die heutige Verfassung kann daher nicht mehr als ein stabiles Fundament angesehen werden.

Das Fürstenhaus hatte deshalb den Ruf nach einer Änderung der Verfassung aufgenommen und sich intensiv mit Verbesserungsmöglichkeiten befasst. Diese wurden in die Gespräche mit der Verfassungskommission des Landtages eingebracht, fanden aber größten Teils keine Gegenliebe. Nach Jahren erfolgloser Diskussion mit der Verfassungskommission entschloss sich das Fürstenhaus im Februar 2000, seine Verfassungsvorschläge zu publizieren.

Das Fürstenhaus möchte mit seinen Verfassungsvorschlägen folgendes erreichen:

Die Monarchie soll nicht mehr von "Gottes Gnaden", sondern von "Volkes Gnaden" zumindest passiv demokratisch legitimiert werden.

Durch ein neues Ernennungsverfahren der Richter soll ein Ausbau der Unabhängigkeit sowie eine größere Kontinuität der Gerichte erreicht werden. Dieses weniger parteipolitisch beeinflusste Verfahren soll auch eine bessere Qualifikation der Richter mit sich bringen, was sich nicht zuletzt im Zuge der "Geldwäsche-Ermittlungen" als notwendig erwiesen hat.

Schließlich möchte das Fürstenhaus einerseits den demokratischen Rechtsstaat stärken, in dem der Fürst Rechte abgibt, ohne andererseits die Monarchie entscheidend zu schwächen.

Die Verfassungsvorschläge des Fürstenhauses sehen daher vor allem folgende Änderungen vor:

Einen Ausbau der Gemeindeautonomie

Eine zeitliche und materielle Einschränkung des Notrechtes

Den Verzicht des Fürsten auf die Beamtenernennungen zu Gunsten der Regierung

Den Verzicht des Fürsten auf das Vetorecht bei Richterernennungen

Den Wechsel des Vorschlagsrechtes für Richter vom Landtag zum Fürsten

Die Möglichkeit einem Regierungsmitglied auch durch den Landtag und nicht mehr nur - wie bisher - durch den Fürsten das Vertrauen zu entziehen

Ein Misstrauensvotum gegen den Fürsten, welcher dann gemäß dem neuem Hausgesetz durch das Fürstenhaus seines Amtes enthoben werden kann

Und die Möglichkeit zur gänzlichen Abschaffung der Monarchie durch das Volk.

Das Fürstenhaus besprach seine Vorschläge zwar im einzelnen in breit angelegten Diskussionsrunden mit der Bevölkerung, der Landtag konnte sich aber nicht mit dem Entwurf anfreunden und die Mehrheit der Politiker befand plötzlich, daß man bei der alten Verfassung bleiben sollte, welche uns ja so gut gedient habe. Das Fürstenhaus geht allerdings davon aus, daß dieser Schwenker von 90% Zustimmung des Landtages für Verfassungsänderungen zu einem Beibehalten der jetzigen Verfassung kein langfristig stabiles Fundament für eine erfolgreiche Zukunft Liechtensteins sein kann. Es wird deshalb seine Verfassungsvorschläge in den kommenden Monaten zur Entscheidung vorlegen.

Die Einwohnerzahl Liechtensteins ist in den letzten 30 Jahren von rund 21.000 auf rund 33.000 angewachsen. Im Bereich der Arbeitsplätze ist das Bild noch extremer. Der Liechtensteinische Regierungschef skizzierte es unlängst so: "In den Jahren 1999 und 2000 hatten wir eine jährliche Zuwachsrate der Arbeitsplätze von 6%. Den 27.000 Arbeitsplätzen steht eine Bevölkerung von 33.000 Menschen gegenüber. Heute pendeln deshalb täglich rund 10.000 Personen aus dem Ausland nach Liechtenstein. Gerade noch 39% der in Liechtenstein Beschäftigten besitzen die liechtensteinische Staatsbürgerschaft."

Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses starke Wirtschaftswachstum etliche Probleme mit sich bringt:

Zunächst ist es einmal die Verkehrs- und Umweltsituation, die für viele Bürger ein erträgliches Maß überschritten hat

Weiters bedeutet der Anstieg der Arbeitsplätze zwar sehr niedrige Arbeitslosenzahlen, andrerseits ist der Arbeitsmarkt vollkommen ausgetrocknet

Auch wird es langfristig schwer möglich sein, ein Wirtschaftswachstum mit einer Zunahme der Arbeitsplätze um 6% im Jahr hauptsächlich auf Grenzgänger zu stützen

Bei einem Wachsen der Bevölkerung durch verstärktes Einwandern von Ausländern stellt sich wiederum die Frage der erfolgreichen Integration

Und schließlich durchgeht die liechtensteinische Bevölkerung zum Teil einen Prozess des Entwurzelns aufgrund des rasante Wandels von einem armen Agrarstaat zu einem der reichsten Länder der Erde in nur 50 Jahren.

Liechtenstein steht also in einer Zeit großer Herausforderungen, die zum Teil hausgemacht sind, zum Teil aber auch auf Änderungen der Rahmenbedingungen zurück zu führen sind. Es daher verständlich, daß sich viele in der Liechtensteinischen Bevölkerung Gedanken machen, wie man die nächsten Jahrzehnte genauso erfolgreich bewältigen kann. Es besteht ein Bedürfnis, eine Strategie für das Fürstentum Liechtenstein im 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Diese Situation ist eine Chance, die es zu nutzen gilt. Bekanntlich sind in einer Zeit, in der alles nur bestens geht, selbst eindeutige Verbesserungen nur sehr schwer umsetzbar. Für Liechtenstein würde es sich heute durchaus lohnen, genau zu untersuchen, wie der Staat die nächsten Jahrzehnte noch erfolgreicher meistern kann als die vergangenen.

Liechtenstein hat heute den großen Vorteil, dass es sich diese Überlegungen in einer Zeit machen kann, in der sich zwar Rahmenbedingungen zu ändern beginnen, in der es aber wirtschaftlich in einer äußerst gesunden Lage ist:

Es werden jährlich Budgetüberschüsse produziert

Das Land verfügt über Reserven in der Höhe von mehr als einem ganzen Jahresbudget

Die Pensionen sind noch gesichert, da die Bevölkerung noch nicht überaltert ist und da aufgrund des 3-Säulen-Systems mit zusätzlichen Betriebs- und Privatversicherungen der Anteil der Pensionen, der auf dem Umlageprinzip basiert, verhältnismäßig geringer ist als in vielen anderen Staaten

Die Wirtschaft ist stark diversifiziert. Sie besteht nicht, wie vielfach dargestellt nur aus dem Verkauf von Briefmarken und einem starken Finanzplatz. Der Sektor nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften mit Industrie und Gewerbe erwirtschaftet 64 %, der Sektor finanzieller Kapitalgesellschaften 20 % der Wertschöpfung in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

Liechtenstein verfügt über eine gut ausgebildete und fleißige Bevölkerung mit starkem Unternehmergeist.

Die Amtswege sind im internationalen Vergleich extrem kurz

Die Steuern und Lohnnebenkosten sind niedrig

Das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist sehr liberal

Der Staat ist stabil und wirtschaftsfreundlich.

Liechtenstein kann also Verbesserungen aus einer Position der inneren Stärke angehen.

Liechtenstein steht zwar vor externen Herausforderungen, allerdings gibt es mit der Globalisierung auch eine internationale Entwicklung, die für Kleinstaaten von großem Vorteil ist. Liechtenstein ist es gewohnt, am Weltmarkt bestehen zu müssen. Aufgrund eines winzigen Binnenmarktes muss die liechtensteinische Industrie praktisch ihre gesamte Produktion exportieren. Mit 44% geht dabei ein bedeutender Anteil der Exporte außerhalb Europas, vor allem in die USA und nach Asien.

Eine zunehmende Öffnung der Märkte sowie eine Vereinfachung internationaler Transaktionen ist besonders für Kleinstaaten von Vorteil. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in größeren Staaten die binnenmarktorienterten Anbieter, nicht im selben Masse dem internationalen Wettbewerb mit den weltweit Besten ausgesetzt sind. Unternehmen aus Kleinstaaten können auch nicht im Notfall auf staatliche Rettungs- oder Schutzmaßnahmen hoffen. Sie müssen daher rechtzeitig notwendige Strukturanpassungen vollziehen und sind gezwungen, ihre Strategien regelmäßig zu überprüfen sowie ein vernünftiges Risikomanagement zu betreiben. Es ist nicht verwunderlich, dass es in den letzten Jahren oft gerade die kleineren und kleinsten Staaten waren, welche wirtschaftlich erfolgreich waren.

Liechtenstein kann sich seine eigene Strategie für die nächsten Jahre zu einem günstigen Zeitpunkt formulieren. Auf was sollte es nun seine Schwerpunkte legen, damit diese Chancen auch ergriffen werden? Liechtenstein muss ähnlich vorgehen wie eine Unternehmen, welches seine Strategie überprüft. Zunächst ist einmal die Ist-Situation genau zu analysieren, die Rahmenbedingungen, die Stärken und Schwächen, die Chancen und Gefahren. Hier ist schon einiges getan worden. Dann sollte gründlich erarbeitet werden, wie ein optimal funktionierender Kleinstaat im 21. Jahrhundert aussehen muss. Schließlich sind die geeigneten Maßnahmen zu setzen, um diesem Ziel möglichst nahe zu kommen.

Der Prozess sollte sicherstellen, dass die Visionen bzw. die Strategie von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen sind. Dazu wird man einerseits mit Experten zusammenarbeiten müssen, die eine kritische externe Sicht liefern und weltweit neueste Erkenntnisse einbringen. Andrerseits gilt es auch die Innovationsfähigkeit der eigenen Bevölkerung zu nutzen sowie deren kritische interne Sicht bezüglich der Machbarkeit der Vorschläge einzubringen.

Der Prozess sollte auch gewährleisten, dass daraus nicht ein Sammelsurium von Initiativen entsteht, sondern ein in sich geschlossenes Ganzes, bei dem die verschiedenen Maßnahmen auf einander abgestimmt sind. Um dies zu erreichen, sollten die Maßnahmen jeweils auch aus einer gesamtstaatlichen Sicht geprüft werden, bei der man auf das Wesen des Menschsein zurückgeht und daraus Kriterien gewinnt, die für einen erfolgreichen Staatsaufbau notwendig sind.

Ohne einem Konzept für einen optimal funktionierenden Kleinstaat vorzugreifen, möchte ich zumindest schon folgende Grundüberlegungen nennen, welchen man sich in einem solchen Prozess sinnvollerweise stellen sollte:

Die staatlichen Strukturen sollten eine größtmögliche Flexibilität erlauben.

Um dies zu erreichen, sollte der Staat nur jene öffentliche Güter selbst bereitstellen, die er auch am besten selbst erbringt. Dies bedeutet eine Überprüfung, auf welche Art der Staat seine Aufgaben am besten erfüllen kann.

Eine Überprüfung der Aufgabenerfüllung sollte auch die Verwirklichung von Subsidiarität in den öffentlichen Strukturen beleuchten.

Wenn der Staat öffentliche Güter nicht selbst erbringt, muss er sicherstellen, dass das Erbringen durch andere auf dem gewünschten Niveau erfolgt.

Damit Steuern und sonstige Abgaben von den Bürgern akzeptiert werden, müssen diese als fair empfunden und ihre Verwendung nachvollziehbar sein.

Ein nachhaltiges Wachstum sollte sichergestellt werden.

Und schließlich ist die Ausbildung der Bevölkerung so optimal wie möglich zu gestalten.

Ein Kleinstaat hat es schwer, seine Interessen international geltend zu machen. Knappe personelle und finanzielle Ressourcen müssen gebündelt, die Außenpolitik ständig hinterfragt und neu orientiert werden. Zwangsläufig gehören Schwerpunkte gesetzt. Der Kleinstaat muss deshalb stets eine hohe Flexibilität bewahren, um auf Änderungen sofort reagieren zu können.

Um so flexibel wie möglich zu sein, sollte der Staat nur jene öffentlichen Güter selbst bereit stellen, welche nicht sinnvoll durch andere erbracht werden können. Alles andere würde den Staatsapparat aufblähen und weniger flexibel machen. Der Staat sollte daher regelmäßig überprüfen, wie er seine Aufgaben am besten erfüllt. Er sollte sich dabei überlegen, ob die bestehende Prozesse für die Aufgabenerfüllung optimiert werden können, oder, ob Prozesse vollständig geändert werden sollten, indem die Leistung durch andere erbracht wird. Eine Leistungserbringung durch andere kann sowohl innerhalb der staatlichen Strukturen geschehen, vor allem im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, als auch außerhalb durch Privatisierung und Outsourcing.

Es ist nur sinnvoll, die Dinge auf gesamtstaatlicher Ebene zu machen, welche auch wirklich besser dort gemacht werden. Es gibt allerdings vieles, das vorteilhafter auf Gemeindeebene bewältigt wird, vor allem auch, weil die kleinen überschaubaren Strukturen, die Durchführung vieler Aufgaben erleichtern und die Prozesse näher beim Bürger stattfinden.

Das ist zwar allgemein bekannt, in der Praxis ist aber bezüglich des Subsidiaritätsprinzips bis jetzt noch wenig geschehen ­ in Liechtenstein konzentriert sich diese Frage auf das Verhältnis der Gemeinden zum Land, da wir keine Kantone oder Bundesländer haben. Ein Problem besteht darin, daß kein Politiker gerne Kompetenzen und Budgets abgibt. Man sollte sich daher überlegen, ob es nicht besser wäre, diesen Prozess nicht "top down" sondern "bottom up" zu gestalten. In so einem Ansatz sollten alle jene Bereiche, die nicht auf gesamtstaatlicher Ebene erbracht werden müssen, zunächst einmal in die Verantwortung der Gemeinden gegeben werden, die dann zu entscheiden hätten, ob die Ausführung am besten durch die Gemeinde allein, im Verbund mit mehreren Gemeinden, mit allen Gemeinden gemeinsam auf staatlicher Ebene oder auch grenzüberschreitend durch einen regionalen Ansatz geschehen soll. So sollten nach meinem Verständnis auch die Prozesse in der Europäischen Union ablaufen.

In den letzten Jahren haben viele westliche Staaten begonnen, von ihnen direkt erbrachte Leistungen zu privatisieren. In etlichen Bereichen hat sich dies, vor allem aufgrund des entstandenen Wettbewerbs, positiv ausgewirkt. So wären die Kosten im Telekommunikationsbereich ohne Privatisierung wohl kaum in dem Masse gesunken, wie dies in den letzten Jahren geschehen ist.

Allerdings sind nicht alle Privatisierungen zufriedenstellend verlaufen. Entweder waren die Privatisierungen schlecht geplant bzw. durchgeführt ­ so werden die Probleme des kalifornischen Elektrizitätsmarktes hauptsächlich darauf zurückgeführt, dass nur teilweise privatisiert wurde und daher der Markt gar nicht wirklich spielen konnte. Oder es wurde versäumt wirklich effektive Regelwerke für die privatisierten Bereiche zu schaffen.

Liechtenstein hat ebenfalls gute Erfahrungen im Bereich des Outsourcing auf zwischenstaatlicher Ebene gemacht und sich dabei wertvolles Know How angeeignet. Schweizer und österreichische Institute sind beispielsweise wichtige Partner im Gesundheits- und Ausbildungsbereich.

Ein neuer Markt kann nur funktionieren, wenn gute Regelwerke und Kontrollmechanismen vorhanden sind. Die Wirtschaft ist generell auf ein effektives Rechtssystem und starke Regulatoren angewiesen. Ebenso ist es im Fall eines Outsourcing an einen Monopolanbieter notwendig, gute Kontrollen zu haben. Wenn man daher überlegt, die Bereitstellung öffentlicher Güter anderen zu überlassen, sollte man auf keinen Fall diese Komponente vergessen.

Es ist durchaus üblich, dass es in einer Anfangsphase der Umstellung zu Schwierigkeiten kommt bis die neuen Systeme greifen. Eine Umstellung muss daher genau geplant werden und sicherstellen, dass die öffentliche Akzeptanz für eine Umstellung möglichst breit ist. Dadurch wird vermieden, dass bei ersten Schwierigkeiten aus einem kleinen Problem gleich eine Katastrophe gemacht wird.

Wenn viele Leute heute nicht mehr bereit sind ihre Steuern zu zahlen, so ist dies zum einen, weil diese oft viel zu hoch sind. Nach einer kürzlich herausgegebenen Statistik ist der erste steuerfreie Tag im Jahr, d.h. der Tag an dem man aufhört für den Staat zu verdienen und beginnt für sich selbst zu arbeiten, für den Durchschnitt der EU-Staaten der 24. Juli. Wenn man in vielen Staaten mehr als das halbe Jahr sozusagen Frondienst macht, dann ist es verständlich, dass man auf Steuern schlecht zu sprechen ist.

Viel schlimmer ist es aber, wenn man nicht mehr wie früher nachvollziehen kann, wie durch diesen Frondienst ein Verteidigungswall oder eine neue Straße entsteht. Es besteht heute oft keine Transparenz mehr zwischen Steuerleistung und Gegenleistungen. Genau so wichtig wie die Steuern niedrig zu halten, ist es daher, die Verwendung staatlicher Mitteln nachvollziehbar zu gestalten. Vielleicht kann man sich hier eine Art modernes Reporting an die Bürger überlegen.

Selbstverständlich muss die Einhebung der öffentlichen Abgaben auch möglichst einfach und effizient gestaltet werden. Es macht keinen Sinn, Einhebungssysteme aufrecht zu erhalten, welche mehr Kosten verursachen als sie an Steuerleistung bringen.

Die meisten Menschen akzeptieren heute den Gedanken der Nachhaltigkeit, d.h. sie wollen möglichst so leben, dass nächste Generationen auch noch so leben können, wie sie selbst. Ein Gedanke der mir sympathisch ist, da man sich gerade in meiner Familie nicht als Besitzer der Familiengüter sieht, sondern als Verwalter für die nächsten Generationen mit gleichzeitigem Nutznießungsrecht.

Nachhaltigkeit sollte allerdings nicht nur auf Umweltfragen reduziert werden. Auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht sollte man sich darüber Gedanken machen. Nachhaltigkeit sollte auch bedeuten, dass man der nächsten Generation nicht gesellschaftliche Strukturen hinterlässt, die die Freiheit unnötig einschränken. Sinnlose Bürokratie sowie Verschuldung sind Lasten an die nächsten Generationen, die deren Flexibilität einschränken. In diesem Zusammenhang ist auch zu hinterfragen, inwieweit eine Gesellschaft noch nachhaltig ist, in der Kinder Verlust an Lebensqualität und Armutsfalle bedeuten können. Eine überalterte Gesellschaft stellt den Generationenvertrag in Frage. Schließlich möchte eine nächste Generation nicht nur in einer intakten Umwelt leben, sondern auch in intakten Familien und einer sozial stabilen Gesellschaft aufwachsen.

Wie viele Kleinstaaten so hat auch Liechtenstein keine wertvollen Rohstoffe, welche sich gewinnbringend verwerten lassen. Sein wertvollstes Kapital ist die sehr gut ausgebildete Bevölkerung. Um sich diesen Wettbewerbsvorteil zu bewahren, wird Liechtenstein alles daran setzen, seiner Bevölkerung die bestmögliche Ausbildung zu bieten.

Dazu sollte man sich Gedanken machen, welche Strukturen notwendig sind, damit optimale Ausbildung überhaupt angeboten wird. Ebenso ist zu überlegen, wie die Ausbildungsqualität überprüft werden soll, damit ein gewünschtes Niveau erreicht bzw. gehalten wird.

Weiters wird es wichtig sein, dass die gesamte Bevölkerung ­ nicht nur die Eliten ­ eine bestmögliche Ausbildung genießen kann. Dazu wird man nachdenken müssen, wie ein lebenslanges Lernen realisiert wird, und, wie die verschiedenen Bevölkerungsgruppen den jeweiligen Bedürfnissen und Begabungen gerecht ausgebildet werden.

Schließlich sollte eine Ausbildung die Bevölkerung nicht nur auf die beruflichen Aufgaben vorbereiten, sondern auch die Notwendigkeit der oben erwähnten Nachhaltigkeit vermitteln, um eine stabile und solidarische Gesellschaft zu gewährleisten.

Sehr geehrte Damen und Herren

Liechtenstein steht vor großen Herausforderungen: die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die Verteidigung der Privatsphäre und des Steuerwettbewerbes, der noch offene Weg der europäischen Integration sowie der Verfassungskonflikt und die Wachstumsprobleme. Bezüglich dem Verfassungskonflikt hat es Liechtenstein selbst an der Hand, schnell eine Lösung zu finden. Bezüglich organisierten Kriminalität befindet man sich auf dem richtigen Weg. Es sollte daher genügend Kraft vorhanden sein die anderen Herausforderungen angehen zu können.

Liechtenstein sollte aber nicht nur die bestehenden bzw. absehbaren Herausforderungen meistern, sondern auch seine Chancen ergreifen. Es ist daher meine Absicht, in den nächsten Monaten die soeben gemachten sowie weitere Überlegungen über den Kleinstaat im Rahmen eines umfassenden Projektes anzugehen. Ich bin der Überzeugung, dass wir in Liechtenstein eine einmalige Gelegenheit haben, ein innovatives Projekt zu verwirklichen und daraus ein interessantes Exportgut zu machen.