Demokratiebewegung will in Dialog einbezogen werden

1. Oktober: Nachdem die Liechtensteinische Demokratiebewegung darauf gedrängt hatte, nicht nur in den  Dialog selbst, sondern bereits in die Festlegung der Modalitäten für diesen Dialog mit einbezogen zu werden, empfängt Peter Schieder einige Vertreter der Demokratiebewegung in Strasbourg.

Aus der Erklärung der Delegation der liechtensteinischen Demokratiebewegung zuhanden von Herrn Peter Schieder, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, anlässlich des Gesprächs vom 1. Oktober 2004 in Strassburg:

1.            …

2.            …

3.            … Wir sind uns bewusst, dass unsere Probleme angesichts aller Ungerechtigkeiten in dieser Welt vergleichsweise gering sind. Wir nehmen unser Land jedoch ernst, auch in dessen Anspruch, demokratisch zu sein. Wir ersuchen die Institutionen des Europarats, unser Land an diesem Anspruch zu messen.

4.            An seiner Sitzung vom 1. März 2004 hat das Büro der Parlamentarischen Versammlung beschlossen, dass das Ziel des Dialogs mit Liechtenstein darin bestehe, die verfassungsmässige und politische Praxis nach dem Inkrafttreten der Verfassungsänderungen zu studieren. Als erstes seien die Modalitäten des Dialogs festzulegen, damit dieser nach den Landtagswahlen im Februar 2005 (nunmehr März 2005) beginnen könne.

5.            Wir möchten unserer Sorge Ausdruck verleihen, dass die Untersuchung der Verfassungswirklichkeit schwierig ist. Der Grund liegt in der faktisch vollständigen Umkehr des Verfahrens der politischen Willensbildung, gepaart mit einer Geheimhaltung der entscheidenden Vorgänge. Über den Zangengriff des neuen Art. 80 der Verfassung, der normiert, dass der Fürst die Regierung entlassen kann, wenn er kein Vertrauen mehr in sie hat, kann der Fürst von Anfang an in die gesamte Regierungs- und Gesetzgebungstätigkeit und in die Personalpolitik eingreifen. Die Regierung ist ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Instrument des Fürsten und/oder dessen Stellvertreters sind dabei die „Montagsgespräche“ zwischen ihm und dem Regierungschef auf dem Schloss. Diese finden im Geheimen statt und werden nicht einmal protokolliert. Am nächsten Tag ist die wöchentliche Sitzung der Regierung, auf dem Verteiler der Tagesordnung figuriert der Fürst zwar nicht, doch ist davon auszugehen, dass die Tagesordnung an einem der Montage zuvor auf dem Schloss vorbesprochen worden ist. Die Montagsgespräche hat es zwar schon früher gegeben (sie waren das Ergebnis eines Kompromisses zwischen dem Fürsten und der Regierung, weil der Fürst an den Regierungssitzungen teilnehmen wollte), sie haben nun aber vor dem Hintergrund des neuen Art. 80 eine ganz andere Qualität erhalten. Das alles geschieht selbstverständlich unter voller Beibehaltung des Endentscheids durch den Fürsten gestützt auf das Sanktionsrecht gemäss Art. 65 der Verfassung. Trotzdem ist er nicht auf dieses lästige, da öffentliche, Veto angewiesen, vielmehr kann er die Regierung präventiv steuern, ohne dass dies von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Beratend steht ihm dabei der nur ihm verantwortliche neue Kabinettsdirektor zur Seite, dessen Aufgabe es ist, den Einfluss des Fürsten „in einem möglichst frühen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens“ geltend zu machen (Pressemitteilung des Fürstenhauses, „Volksblatt“ vom 18.5.04).

6.            Von 1862 bis 1921 wussten wir, dass die Exekutive vom Fürsten bestellt war, aber ihm gegenüber stand immerhin der vom Volk gewählte Landtag. Doch heute, in der Parteiendemokratie, haben wir unsere Regierungsleute, von denen sich die geheime, autoritäre, niemandem verantwortliche Steuerung durch den Fürsten wie mit einem unsichtbaren Riemen auf den Landtag und, von einzelnen Ausnahmen und Personen abgesehen, auf das ganze politische System überträgt. Das System der Verschleierung wird zuweilen nur von Äusserungen des Fürsten oder des Erbprinzen selbst durchbrochen, wenn diese öffentlich mit dem Veto drohen (zum Beispiel vor der Abstimmung vom 16. März 2003 im Zusammenhang mit der «Friedensinitiative», bei der Ablehnung der EWR-Erweiterung im Oktober 2003 und neuerdings zur Abwürgung jeder Diskussion der Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch, womit das Thema nunmehr auf Eis gelegt ist) oder wenn sie ihre Geringschätzung der politischen Institutionen zum Ausdruck bringen, etwa indem sie die Landtagswahlen als die Wahl zwischen «dem kleineren oder grösseren Übel» bezeichnen (Erbprinz im Staatsfeiertags-Magazin des Vaterland vom 10.8.04), bei denen die Abgeordneten «im Trott der Vierjahresperioden» (Fürst im Vaterland vom 14.8.93) «von Wahl zu Wahl hopsen» (Fürst im Volksblatt vom 10.8.00).

7.            Selbst die Richterwahlen sind zu einem geheimen Verfahren mutiert, doch das wenigstens öffentlich, nämlich ausdrücklich in der neuen Verfassung (Art. 96). Im dort vorgeschriebenen und nunmehr per Gesetz konstituierten Richterbestellungsgremium, dessen Beratungen natürlich vertraulich sind, hat der Fürst gleichzeitig den Vorsitz, den Stichentscheid (was wichtig ist, weil das Gremium immer nur eine gerade Anzahl Mitglieder aufweist) und das Vetorecht (jeder Kandidat kann nur mit Zustimmung des Fürsten dem Landtag zur Wahl empfohlen werden, was bedeutet, dass der Fürst den Wahlvorschlag sogar einer Mehrheit im Gremium überstimmen kann), aber alles bleibt geheim. Symbolträchtig ist, dass die Beratungen des Gremiums auf dem Schloss stattfinden.

8.            Wenn die Verfassungswirklichkeit untersucht wird, so ist es essentiell, diese Abläufe zu untersuchen. Das ist nach unserer Auffassung der Test für die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des Europarats, da er den Dialog mit Liechtenstein auf die Untersuchung der Verfassungswirklichkeit einschränkt und den Inhalt der neuen Verfassungsbestimmungen sowie die Art und Weise ihres Zustandekommens ausklammert. Andernfalls sehen wir keinen Sinn in einem Dialog, denn sonst wird nicht nur die neue Verfassung durch den Europarat legitimiert, sondern auch die scheindemokratische, tatsächlich aber autokratische Verfassungswirklichkeit, die sich im Lauf der Jahre immer mehr festigen wird.

9.            Uns ist bewusst, dass der Festlegung der Modalitäten des Dialogs Präzedenzcharakter zukommt, weil dieses Instrument neu ist. Das Verfahren muss schon deshalb formalisiert werden. Zu den Modalitäten des Verfahrens meinen wir, dass der Europarat das Verfahren selbstständig festlegen sollte. Zuerst sollte er den Gegen­stand der Untersuchung genau bestimmen. Dazu gehören auch die oben genannten Abläufe. Zweitens sollte er die Teilnehmer am Dialog bestimmen. Seitens des Europarats sollten alle politischen Gruppierungen vertreten sein, seitens Liechtensteins auch der Fürst oder der Erbprinz. Die Demokratiebewegung will am Dialog beteiligt sein. Die Gespräche zwischen den Vertretern des Europarats (dem Dialog-Aus­schuss) und den verschiedenen Teilnehmern aus Liechtenstein sollten getrennt geführt werden. Alle Sitzungen sind zu protokollieren und den Teilnehmern zugänglich zu machen, mit der Möglichkeit der Veröffentlichung. Wichtig ist, dass der Schlussbericht unter voller Anhörung der liechtensteinischen Seite immer ein Bericht des Europarats bleibt. Das Ergebnis des Dialogs (der Schlussbericht) darf nicht von der Zustimmung eines Dialogpartners abhängen. Das Gleiche gilt für allenfalls zu erstellende Zwischenberichte, in denen Zwischenergebnisse festgehalten werden.

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